Freitag, 9. Juli 2010

Gegen den Strom

Bewegung ist gesund. Das behaupten zumindest die Krankenkassen. Allerdings – wenden manche ein – kommt es auch auf die Richtung an.
Sei ein lebend'ger Fisch:
schwimme doch gegen den Strom!
So sangen es Snubnose 1999 und coverten damit eine alte Schwarte von der Kinderlieder-Tante Margret Birkenfeld. Das Lied bringt die Problematik auf den Punkt: Bewegung an und für sich ist schon gut. Bedenklich wird es nur, wenn man sich in die gleiche Richtung bewegt wie die breite Masse. Denn je mehr Leute sich einem Rudel anschließen, umso höher liegt die Gefahr, dass sie sich auf dem Holzweg befinden. Die Masse ist verdächtig. Deswegen taucht das Thema „sich gegen den allgemeinen Trend bewegen“ auch mit schöner Regelmäßigkeit in der Punk-Musik auf.

Die Altar Boys waren in den 1980ern eine christliche Punk-Band in Californien. Die frühen Platten kligen stark nach den Ramones und setzen zu dieser Zeit sicherlich ein gehöriges revolutionäres Potenzial frei. Später dann entwickelt der Sound sich in eine radio-tauglichere Richtung. Aber ihren revolutionären Anspruch legen die Messdiener aus Californien trotzdem nicht ab: Das vierte Album von 1987 (12“, Frontline Rec.) trägt den Titel „Against the Grain“, was soviel bedeutet wie „entgegengesetzt zur allgemeinen Richtung.“ Gegen den Strom wollen sich die Altar Boys also bewegen. Das machen sie auch im Titel-Track der Platte deutlich, der ebenfalls mit „Against the Grain“ überschrieben ist:
With all we think we know
I would rather go
against the grain!
Die Altar Boys wollen kein Wischiwaschi-Leben leben. Sie wollen ihre Überzeugungen ernst nehmen und sich damit eben von der Masse abheben. Darin besteht ihre Rebellion: Ein wirklich konsequentes Leben als Christen zu führen.

Eine Band, die mit christlichen Überzeugungen weniger anzufangen weiß, ist Bad Religion, ebenfalls aus Californien. Scheinbar haben Bad Religion trotz der geografischen Nähe keine Bekanntschaft mit den Altar Boys geschlossen. Denn sonst hätten sie vielleicht eine interessante Parallele vermieden: 1990 veröffentlichen sie ihr fünftes volles Album, und dieses trägt den Titel – „Against the Grain“ (12“, Epitaph). Wie es der Zufall so will, beinhaltet auch diese Scheibe einen gleichnamigen Titel-Track, in dem es heißt:
There's an oriented public
who's magnetic force does pull,
but away from the potential of the individual.
Against the grain!
Du musst dich gegen die allgemeine Richtung bewegen, um die Person sein zu können, die du wirklich bist – sagen Bad Religion. Um dies klar zu stellen, benutzen sie auch die Stromaufwärts-Metapher, die wir schon längst aus dem Birkefeldschen Kinderlied kennen. Wie die Altar Boys betätigen sich auch Bad Religion als Revoluzzer.

Die Religions-Befürworter und die Religions-Kritiker verbindet damit offensichtlich einiges. Sie alle sehen sich in der Position einer Minderheit. Sie haben starke Überzeugungen und wollen ihr Leben ernsthaft und sinnvoll gestalten. Merkwürdig nur, dass beide Seiten dazu neigen, die jeweils anderen als die breite, abgestorbene Masse zu definieren, sich selbst dagegen als die lebendige Minderheit. Diese krasse Ähnlichkeit wahrzunehmen, müsste doch eigentlich die gegenseitige Akzeptanz fördern.

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